22.03.2010 | Uschi Grandel

Zwei Tote waren im spanisch-französisch-baskischen Konflikt in den letzten zehn Tagen zu beklagen. Über den französischen Polizisten Jean-Serge Nérin, der bei einem Schusswechsel mit ETA-Mitgliedern in der Nähe von Paris schwer verletzt wurde und kurz darauf starb, wurde in der deutschen Presse ausführlich berichtet. Bei dem zweiten Toten handelt es sich um das ETA-Mitglied Jon Anza, dessen Leiche in einer Leichenhalle in Toulouse entdeckt wurde. Er war im April 2009 auf dem Weg nach Toulouse spurlos verschwunden und wurde während der vergangenen elf Monate von seiner Familie und einer grossen Solidaritätsbewegung im Baskenland intensiv gesucht. Vieles deutet auf eine Verstrickung der spanischen Polizei in seinen Tod. Seit dem mysteriösen Auftauchen seiner Leiche hat insbesondere die fehlende Kooperation der Polizei mit der Familie des Toten den Vorwurf der Vertuschung laut werden lassen und viele Fragen aufgeworfen.

“Teil der Realität des politischen Konflikts”

“Beide Vorfälle sind Teil der Realität des politischen Konflikts”, schreibt die abertzale Linke – die baskische linke Unabhängigkeitsbewegung – am 17. März 2010 in ihrer jüngsten Stellungnahme. Aber sie ist angetreten, diese Realität zu ändern. Bereits vor einem Monat hatte sie nach langer und intensiver Diskussion, an der sich Tausende ihrer Aktivistinnen und Aktivisten beteiligten, unilateral erklärt, ab sofort auf politischem Wege mit ausschliesslich demokratischen und friedlichen Mitteln zu agieren und die Überwindung des Konflikts durch einen “demokratischen Prozess” anzustreben. Dabei werde sie die Prinzipien friedlicher Konflitkbewältigung verfolgen, so wie sie von Senator Mitchell erfolgreich für den britisch-irischen Prozess eingeführt worden waren:

“Der demokratische Prozess muss sich in der völligen Abwesenheit von Gewalt und ohne äußeren Einfluss entwickeln. Dialog und Verhandlungen der politischen Kräfte sollten den Grundsätzen des Senators Mitchell folgen. Niemand wird Gewalt oder die Androhung von Gewalt einsetzen, um den Verlauf oder das Resultat der Mehrparteienverhandlungen zu beeinflussen oder daraus resultierende Vereinbarungen zu ändern.”

Diese unilaterale Erklärung der abertzalen Linken vom Februar 2010, die vollständig im Dokument “Zutik Euskal Herria (Steh auf Baskenland)” auch in deutscher Übersetzung vorliegt, ist ein Schritt enormer Tragweite für die Lösung des Konflikts, auch wenn in den hiesigen Medien darüber praktisch nicht berichtet wurde. Sie hat die Kapazität, den Kreislauf der Eskalation zwischen den repressiven Massnahmen des spanischen Staates auf der einen und die Aktionen der ETA auf der anderen Seite zu durchbrechen. In diesem Sinne richtet die abertzale Linke in ihrer aktuellen Erklärung eine Aufforderung an alle Konfliktparteien, die ihre Ziele heute noch mit Gewalt verfolgen:

“Heute ist es nötiger denn je, den demokratischen Prozess zu festigen, den wir nach einer breiten Diskussion initiiert hatten, einen Prozess, der auf aktiver Teilnahme der Bevölkerung … basiert und der durch ausschließlich politische und demokratische Mittel in Abwesenheit jedweder Form der Gewalt geführt werden muss … Alle Konfliktparteien, insbesondere Euskadi Ta Askatasuna und der spanische sowie der französische Staat müssen sich klar und konkret zur Unterstützung dieses Prozesses bekennen.”

ETA bekräftigt “ihre Bereitschaft, die erforderlichen Schritte auf dem Weg zum politischen Wandel einzuleiten”

Positive Signale kommen von ETA. In einer am 21. März 2010 in der baskischen Zeitung GARA veröffentlichten Erklärung bekräftigt die Organisation “ihre Bereitschaft, die erforderlichen Schritte auf dem Weg zum politischen Wandel einzuleiten”.

Negative Signale kommen immer noch von der spanischen Regierung, die sich dem Irrglauben verschrieben hat, mit immer härteren repressiven Mitteln die selbstbewusste und starke linke, baskische Unabhängigkeitsbewegung, der sich mindestens ein Viertel der Bevölkerung des Baskenlandes zugehörig fühlt, mundtot zu machen. Die Reaktion des spanischen Innenministers Rubalcaba auf die Vorwürfe, die spanische Polizei habe Jon Anza entführt und ermordet, und auf die Forderung nach Aufklärung, ist typisch für die Haltung der spanischen Regierung. Sie erklärt diese Vorwürfe, die zum Beispiel über 8000 Demonstranten letztes Wochenende in Donostia (span: San Sebastian) erhoben haben, zum Delikt der “Verherrlichung von Terrorismus”, verbietet Demonstrationen und lässt eine Klage gegen Familienangehörige Jon Anzas prüfen.

Brian Currin fordert Verzicht auf Gewalt “auch von den Regierungen”

Der Moderator für Konfliktlösung, Brian Currin, fordert indess auch von der spanischen Regierung eine Umorientierung. Im Falle des Todes von Jon Anza fordert er eine unabhängige Untersuchung. Er mahnt, dass “oft Gerüchte und Wahrnehmungen so wirklich wie die eigentliche Wahrheit (sind)” und erklärt:

“Die abertzale Linke hat sich zur Gewaltlosigkeit verpflichtet und arbeitet hart daran, dies zu einer irreversiblen Realität zu machen. Damit die Abwesenheit von Gewalt eine neue Politik in Euskal Herria einleiten kann, muss das Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit von allen geteilt werden, auch von den Regierungen.”

An die Adresse der ETA richtet er die Aufforderung, “einen Schritt weiter zu gehen und einen unmittelbaren und bedingungslosen Waffenstillstand zu erklären”.


Die im Text erwähnten Dokumente finden sich in deutscher Übersetzung auf unserer Webseite im Bereich “Konfliktlösung”:

Stellungnahme der Abertzalen Linken zu den Vorfällen in Dammarie-Les-Lys (17. März 2010)

Zutik Euskal Herria – Steh auf Baskenland (17. Februar 2010)

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