Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt Spanien zur Zahlung von 20.000 Eur Entschädigung an Arnaldo Otegi, einen der bekanntesten führenden Persönlichkeiten der baskischen abertzalen Linken, der linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung.

Im Jahre 2003 hatte Arnaldo Otegi den spanischen König Juan Carlos als “obersten Chef des spanischen Heeres und damit verantwortlich für die Folterer” bezeichnet. Damals ging die aktuelle Debatte um die Schließung der Zeitung Egunkaria und die schweren Foltervorwürfe, die Martxelo Otamendi, der Direktor der Zeitung, vor dem Parlament der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV) gegen die spanische Guardia Civil erhoben hatte. Die Guardia Civil untersteht als Militärpolizei dem König.

Der oberste Gerichtshof verurteilte Arnaldo Otegi zu einem Jahr Gefängnis wegen “des Delikts der schweren Beleidigung des Königs”. Diese Strafe sei überzogen, urteilte nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Im Falle von Arnaldo Otegi wiege besonders schwer, dass die “kostbare” Rede- und Meinungsfreiheit eines gewählten Abgeordneten verletzt worden war. Arnaldo Ortegi war damals Sprecher der baskischen Partei Batasuna und Mitglied des baskischen Regionalparlaments der CAV (der Baskischen Autonomen Gemeinschaft, die drei der sieben baskischen Provinzen umfasst).

Das Urteil kommt nur wenige Tage, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Basken Aritz Beristain Recht gab und den spanischen Staat ebenfalls zu Entschädigungszahlung verurteilte. Spanien hatte die Foltervorwürfe, die Aritz Beristain erhoben hatte, nicht verfolgt.

Martxelo Otamendi, der Direktor der baskischen Zeitung Egunkaria wurde im April 2010, über sieben Jahre nach Schließung seiner Zeitung, freigesprochen. Der Richter wies die Selbstbeschuldigungen, die Martxelo Otamendi in der berüchtigten Incommunicado-Isolationshaft (Erklärung s.u.) unterschrieben hatte, als unglaubwürdig zurück.

Mit Nachdruck weisen Anti-Folterorganisationen und amnesty international darauf hin, dass diese Incommunicado-Haft Folter ermöglicht. Als Indiz hierfür gilt, dass nicht nur in den Fällen von Otamendi und Beristain, sondern nach sehr vielen Incommunicado-Verhaftungen im Zusammenhang mit dem spanisch-baskischen Konflikt Selbstbeschuldigungen und Beschuldigungen Dritter produziert werden.

In ihrem Bericht “Aus dem Dunkeln ans Licht – höchste Zeit für ein Ende der Incommunicado-Haft” vom September 2009 spricht amnesty international von einem Klima, in dem die Polizei Folter und Misshandlungen begehen kann, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

ai „sieht die Incommunicado-Haft, die spanisches Gesetz ist, als eine Verletzung der internationalen Menschenrechtsgesetze, zu deren Einhaltung Spanien verpflichtet ist. Kein anderes Land in Europa hat ein Haftsystem, das die Rechte der Inhaftierten in solch gravierender Weise beschränkt. Die häufigen Vorwürfe der Folter und anderen Misshandlungen von Inhaftierten, die in Incommunicado-Haft gehalten wurden, zeigt die schwerwiegenden Konsequenzen, die dieses System haben kann.“

Die Richter verfolgen Foltervorwürfe fast nie. In wenigen Fällen sind die sichtbaren Verletzungen der Folteropfer so schwer, dass sie vor der Öffentlichkeit nicht verborgen werden können. Im Fall der beiden Basken Igor Portu und Mattin Sarasola wurden die schweren Misshandlungen öffentlich bekannt. Vier Mitglieder der spanischen Polizeieinheit Guardia Civil wurden Ende Dezember 2010 im baskischen Donostia (spanisch: San Sebastian) wegen schwerer Folter an Igor Portu und Mattin Sarasola zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach Hunderten von Foltervorwürfen war dies einer der wenigen Fälle, die zur Anklage und zu einer Verurteilung führten.

Zurück zu Arnaldo Otegi. Viel anfangen kann der baskische Politiker mit der ihm zugesprochenen Entschädigung nicht. Seit Oktober 2009 befindet er sich in “provisorischer” Haft, weil er einer der Autoren der Friedensstrategie der abertzalen Linken, der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung ist. Diese Friedensstrategie hat im Januar 2011 zu einem unbefristeten und international verifizierbaren Waffenstillstand der bewaffneten baskischen Organsiation ETA (Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit) geführt, bisher aber nicht zu einem Ende der Repression durch die spanische Regierung. Erst vor kurzem hatten nach Massenverhaftungen und der Anwendung von Incommunicado-Haft junge baskische politische Aktivistinnen und Aktivisten schwere Foltervorwürfe erhoben. Die Opfer beschreiben ein Horrorszenario: psychologische Folter durch Drohung gegen die Freundin oder gegen Familienangehörige, Plastiktüten zur Erzeugung von Erstickungsanfällen, Schläge, Schlafentzug und Vergewaltigung.

Es wird immer deutlicher, dass die repressive Politik Spaniens die Lösung des spanisch-baskischen Konflikts blockiert und damit ein Hindernis für eine friedliche Entwicklung bildet. Die Asociación Americana de Juristas (Amerikanische Juristenvereinigung) forderte deshalb vor dem Menschenrechtsausschuss der UNO, Spanien müsse die Sondergesetze aufheben, die die juristische Grundlage dieser Menschenrechtsverletzungen bilden. Damit alle Konfliktparteien sich künftig auf “ausschließlich demokratische und friedliche Mittel” stützen. Nicht nur die abertzale Linke, die dies im Februar 2010 unilateral erklärt hatte. Arnaldo Otegi befindet sich als Initiator dieser Friedensstrategie immer noch im Gefängnis.


Incommunicado-Haft: eine Person, die nach ihrer Verhaftung in Incommunicado-Haft genommen wird, ist für fünf Tage völlig von der Außenwelt abgeschnitten in den Händen der Polizei. Ein Anwalt oder ein Arzt eigenen Vertrauens ist nicht zugelassen, Familie oder Freunde werden nicht informiert. Ein Richter muss die Incommunicado-Haft genehmigen, sieht aber normalerweise den Gefangenen oder die Gefangene während der ersten fünf Tage nicht. Bei Terrorismus-Verdacht kann diese Periode auf maximal 13 Tage ausgedehnt werden. Die spanische Polizei wendet Incommunicado-Haft systematisch bei Verhaftungen im Kontext des spanisch-baskischen Konflikts an. Fast alle Formen des Protests, ob friedliche, politische Aktivitäten oder gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Jugendlichen, werden dort seit Jahren als „Terrorismus“ klassifiziert.


Weiterführende Informationen und Hintergründe:

Info Baskenland – Schwerpunkt Menschenrechte: weiterlesen >>

Zu Incommunicado-Haft und Folter siehe insbesondere:

Aus dem Dunkeln ans Licht – amnesty international fordert von Spanien ein Ende der Incommunicado-Haft (Zusammenfassung des Berichts, Sept. 2009): weiterlesen >>

Polizeidokument beweist Existenz illegaler Verhöre (Juni 2010): weiterlesen >>

Zur politischen Entwicklung und zur Initiative der abertzalen Linken:

Gewaltige Bürgerbewegung im Baskenland (Feb 2011): weiterlesen >>

Zurück zum Menu