20.07.2014 | baskinfo (vom 19. Juli 2014)

Vor vier Monaten wurde das besetzte Haus Ribera in Bilbao von der baskischen Polizei geräumt – vor wenigen Wochen wurde ein neues Haus besetzt. Auch dieses Mal in der Altstadt. Es handelt sich um ein historisches Gebäude, in dem in früheren Tagen das Modegeschäft einer bilbainischen Händlerfamilie untergebracht war, Gaston y Daniela.

Wie bereits im Ribera-Projekt soll das neue Projekt mit dem untypischen Namen “MAISON 13“ nicht nur ein Kulturzentrum sein, sondern auch als Wohnraum dienen für Leute, die sich eine Miete nicht leisten können. Wie das Ribera-Gebäude ist MAISON 13 riesig, aber bedeutend besser aufgeteilt in Wohnungen, Büros und Lagerräume, verteilt über fünf Etagen. Vorgesehen ist, im ersten Stock eine Art Theaterraum einzurichten und weitere Kulturgruppen zu integrieren. Die Bewohner/innen haben einen extra Eingang.

Das Gebäude stand lange leer, die Stadtverwaltung hatte den Eigentümer, ein Erbe der Händlerfamilie, mehrfach aufgefordert, die Fassade in Ordnung bringen zu lassen. Diese Forderung verschallte jedoch ungehört. Die Holzfassade ist in der Altstadt ebenso einmalig wie heruntergekommen. Im Gegensatz zur Fassade ist das Hausinnere in einem sehr guten und bewohnbaren Zustand. Vor Jahren war es bereits einmal besetzt, eine in der Szene sogenannte stille Besetzung, von deren Ende nichts bekannt ist. Nun hat die Besetzer-Bewegung Bilbaos ein neues Projekt, direkt hinter der Santiago-Kathedrale, die Ziel von tausenden von Pilger/innen ist und touristisch gesehen eine Schlagader Bilbaos.

Die Polizei hat das besetzte Haus bisher in Ruhe gelassen, einmal abgesehen von den üblichen Personalien-Feststellungen. Doch kam es in der kurzen Zeit der Besetzung bereits mehrfach zu Zwischenfällen mit dem Besitzer. Vor ca. 2 Wochen erschien dieser Erbe und Spekulant in Gegenwart von vier Sicherheitsbullen eines morgens am Haus. Sie traten die Tür ein, drangen in den Versammlungsraum und bedrohten die anwesenden Besetzer/innen. Dabei kam es auch zu physischen Übergriffen. Beendet wurde die Attacke ausgerechnet durch die baskische Polizei, die die fünf Angreifer rausschmiss. Nicht dass Hausbesetzung plötzlich legal geworden wäre in Bilbo, doch eine Räumungsverfügung hat eben ihren juristischen Ablauf und der ist nicht abgeschlossen. Im Gegenteil hat der “Hausbesitzer“ nun schlechte Karten, hat er doch das Gesetz in die eigenen Hände genommen und versucht, im Wildwest-Stil eine Räumung vorzunehmen. Das ist bei der Justiz wenigstens genauso schlecht angesehen wie eine Hausbesetzung. Ohne Räumungsbefehl gelten die Besetzer/innen als legitime Bewohner/innen des Hauses und stehen unter “Polizeischutz“. Wegen Körperverletzung haben sie zur eigenen Verteidigung Strafanzeige gestellt. Als die baskische Polizei beim Chef der Sicherheitsfirma anrief, um wegen der Beteiligung der vier Schläger nachzufragen, stellte sich heraus, dass der Auftraggeber falsche Angaben gemacht hatte, weshalb sich der Unternehmenschef distanzierte. Ergebnis dieses Angriffs ist eine gespannte Lage im Haus, ständig muss jemand den Eingang im Auge haben, auch bei öffentlichen Veranstaltungen. Auch hat die Polizei nun einen Vorwand mehr, ständig zu patroullieren.

Auch sonst liegen ein paar Nerven blank im Zusammmenhang mit Besetzung. In der Nacht zum Samstag kam es vor einer Kneipe der Altstadt erneut zu einem Angriff auf zwei junge Besetzer, die in einem anderen Haus nahe der Altstadt leben. In diesem Fall war es der Eigentümer, der behauptet, im Haus persönliche Gegenstände gelagert zu haben, an die er jetzt nicht mehr rankommt. In angetrunkenem Zustand ging er auf die Jugendlichen los und bedrohte sie mehrfach mit dem Tod. Zum Glück waren ausreichend Zeugen anwesend, die Schlimmeres verhindern konnten. Von den Bedrohungen gibt es nun ein Video, nicht das erste, wie die Besetzer/innen erzählen.

Der Laden Gaston y Daniela und seine Besitzer, in dem sich das neue MAISON 13 befindet, haben in der jüngeren Geschichte Bilbaos nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch Interessantes vorzuweisen. Wer das Rad der Zeit 100 Jahre zurück dreht, stößt auf einen Spionagefall, der sich im Umfeld dieser Großbourgeoisie-Familie abspielte. Ein gewisser Wilhelm Wakonigg, seines Zeichens Österreicher, kam Anfang des 20.Jhs als Ingenieur in die Bergbau-Metropole Bilbao und wurde später zum Konsul von Österreich-Ungarn ernannt. Er heiratete in die Gaston y Daniela Familie ein und sorgte nach Ende des 1.WK dafür, dass die österreichische Kaiserin Zita Exil in Lekeitio (Bizkaia) fand. Später pflegte er als bilbainischer Geschäftsmann mit besten Kontakten standesgemäß Kontakte mit den Nazis. Als 1936 die spanischen Faschisten um Franco putschten und sich die baskische Regierung auf die republikanische Seite stellte, wurde aus diesen Geschäften und Kontakten Hochverrat. Erwischt wurde er, als er sich mit geheimen Papieren absetzen wollte. Trotz seiner sozialen Stellung in der Bourgeoisie Bilbaos wurde “Guillermo“ Wakonigg in einem ordentlichen Verfahren zum Tode verurteilt und hingerichtet. Verbürgt ist, dass Wakonigg kurz vor seiner Exekution “Heil Hitler“ rief. Eine Gedenktafel auf dem Friedhof Derio/Bilbao erinnert an diese Geschichte …

… die im Übrigen in Bilbao weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Ingo Niebel ist es zu verdanken, das der Fall niedergeschrieben wurde. Ingo Niebel hat die Wakonigg-Geschichte erforscht und 2009 ein Buch publiziert mit dem Titel “Al infierno o a la gloria. Vida y muerte del ex cónsul y espía Wilhelm Wakonigg en Bilbao (1900-1936)”. Im besetzten Haus ist diese Geschichte wohl bekannt. (Red.Baskinfo)


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