Interview der Roten Hilfe e.V. Ortsgruppe Berlin mit der baskischen Gefangeneninitative Herrira, Februar 2012
Im Zusammenhang mit den internationalen Aktionstagen gab es auch in Berlin ein Treffen mit Herrira, zu dem Organisationen wie Amnestie International oder die Rote Hilfe e.V. eingeladen waren. Die Ortsgruppe Berlin der Roten Hilfe e.V. hat darauf hin ein Interview mit der baskischen Initiative Herria geführt, die derzeit mit den Aktionen für die Freiheit der baskischen politischen Gefangenen gestartet hat. Hier nun im Wortlaut das Interview.
Im Februar gab es im Februar 2012 international Aktionstage für das Baskenland, wozu die Freundinnen und Freunde des Baskenlands und die internationalistische baskische Organisation Askapena aufgerufen hatten In diesem Rahmen gab es in Berlin neben einer Kundgebung für die Freiheit der baskischen Gefangenen am Brandenburger Tor bei der französischen Botschaft und einem mit circa 100 Personen sehr gut besuchten Kulturabend mit einem baskischen Essen in dem Kulturladen CLASH im Mehringhof – ebenfalls für die Unterstützung für die baskischen politischen Gefangenen – auch ein Treffen mit der neuen baskischen Initiative Herrira.
Herrira fordert vor allem, wie der baskische Name “Herrira – nach Hause” schon sagt, eine Verlegung aller über 700 baskischen Gefangenen in das Baskenland, da diese über 1000 Kilometer entfernt von zuhause in Spanien und Frankreich inhaftiert sind. Außerdem will die Initiative in der nächsten Zeit erreichen, dass endlich die schwer kranken Gefangenen entlassen werden, dass es keine Schikanen gibt gegen die Angehörigen und FreundInnen der baskischen Gefangenen und dass die Sondergesetze gegen die baskischen Gefangenen endlich abgeschafft werden, wonach Eingeknastete, die eigentlich nach dem Gesetz in Spanien wie in Frankreich für den Freigang vorgesehen wären, zusätzlich für weitere Jahre in Haft gelassen werden können. Insbesondere unterstützt Herrira damit auch die Forderungen der baskischen Gefangenenorganisation EPPK, die nicht nur in Spanien, sondern derzeit gerade auch in Frankreich in den Knästen unter anderem mit Hungerstreiks auf sich aufmerksam macht.
„Um den Konflikt zu lösen müssen die Gefangenen freikommen und die Exilierten zurückkommen“
Interview mit zwei baskischen Aktivist_innen von Herrira
AF) Nach einer von hunderttausenden besuchten Demonstration im Baskenland am 07. Januar 2012 hat sich eine neue Organisation gegründet, die sich für die Freiheit und Rechte der baskischen politischen Gefangenen und Exilierten einsetzt. „Herrira“ – „Nach Hause“ will dazu zunächst erreichen, dass die baskischen Gefangenen zuminedest zurück ins Baskenland verlegt werden. Die Rote Hilfe OG Berlin sprach mit mit Amaia Esnal und Eneko Ibarguren über die Situation der Gefangenen im Moment sowie über die Bündnispolitik und die Forderungen von Herrira.
AN) Was hat sich im letzten Jahr verändert, dass euch dazu gebracht eine neue Organisation zu gründen?
Amaia: Zunächst einmal hat sich die politische Situation verändert. Dieser Wandel ist vor allem durch die politischen Organisationen von der Izquierda Abertzale über die ETA und anderen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften entstanden, die einen demokratischen Prozess angestoßen haben um die Ursachen und Auswirkungen des politischen Konflikts zwischen Euskal Herria und dem spanischen und französischen Statt auf demokratischem Wege zu beheben.
In der Folge hat sich das Kräfteverhältnis im Baskenland verändert sowohl auf der Straße als auch in den Institutionen. Zusätzlich gibt es nun einen wesentlich breiteren Konsens wie mit den Gefangenen und den Exilierten ungegangen werden soll. Es gibt eine große Mehrheit, die fordert, dass die Rechte der politischen Gefangenen respektiert werden und dass die Situation der Gefangenen überwunden wird.
Herrira hat sich nach der Demonstration am 7. Januar gegründet um diese politsche Stimmung zusammenzuführen und um die Regierungen Spaniens und Frankreichs, die sich in der Haftpolitik kein Stück bewegen, unter Druck zu setzen. Wir glauben dass wir über den Druck, den wir aufbauen, die Regierungen dazu bewegen können einzulenken und damit eine Lösung des Konflikts voranbringen können.
Wie viele politischen Gefangenen gibt es den im Moment? Und wie ist ihre Situation?
Amaia: Jetzt gerade sind es ungefähr 750. 150 davon in Frankreich, sehr weit weg von Euskal Herreira. Der Rest ist in Spanien und es gibt auch in einigen anderen Staaten baskische Gefangene.
Eneko: In Belgien, in Großbritannien, in Portugal und in Mexiko gibt es jeweils einen politischen Gefangenen aus dem Baskenland.
Amaia: Ein Gefangener – Txus Martín – ist schwer krank. Vor kurzem wurde ihm der Hafterlass verweigert, weil die Amtsärzte sagen er sei nicht in Gefahr, was nicht stimmt. Außerdem gibt es noch weitere 14 die schwer und unheilbar krank sind und eigentlich freikommen müssten. Dann gibt ungefähr 70 Gefangene, gegen die nachträglich eine lebenslange Haftstrafe verhängt wurde. Einige dieser 70 sind schon freigekommen, aber gegen 70 wurde diese Maßnahme angewandt.
Dann gibt es natürlich noch die Gefangenen die sich in Isolation befinden, was sich aber schwierig beziffern lässt, weil es dort ständig Veränderungen gibt. Mal ist ein Gefangener in Isolation, dann wieder nicht, dann sind zwei andere in Isolation etc. Aber es gibt konstant Gefangene, die sich in Isolation befinden.
Was sind eure Forderungen?
Amaia: In der jetzigen Situation fordern wir vor allem, dass die Justizpolitik, die heute noch von Rache und Repression geprägt ist, als befänden wir uns in einem offenen Konflikt, sich dahingehend verändert, dass sie eine demokratische Lösung des Konflikts im Baskenland unterstützt.
Deswegen müssen die grausamsten Auswüchse der Haftpolitik überwunden werden. Dazu gehört vor allem dass die Gefangenn über sämtliche Gefängnisse Spaniens und Frankreichs verteilt sind, tausende Kilometer von ihren Angehörigen entfernt, was schon dazu geführt hat, dass auf der Reise zu den Gefängnissen bereits 17 Angehörige bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen sind. Dazu gehört auch, dass die schwer erkrankten Gefangenen sofort freikommen müssen und dass die Politik der versteckten lenbenslangen Haftstrafe beendet wird. Das ist ein Problem in Spanien, wo nachträglich Haftstrafen verhängt werden können. Das bedeutet, dass politische Gefangene die 20, 25 Jahre im Gefängnis verbracht haben und ihre Strafe eigentlich abgesessen haben, weiterhin gefangen bleiben.
Außerdem müssen Strafen wie die Isolationshaft, die eine Foltermethode ist, abgeschafft werden.
Das sind die ersten Forderungen, dass diese Mittel, die nur gegen die politischen Gefangenen, nicht aber gegen die restlichen Gefangenen angewendet werden, beendet werden. Ausgehend davon wollen wir, dass die Gefangenen und Exilierten nach Hause kommen können. Wir glauben nicht, dass es einen Frieden geben kann, solange es Gefangene gibt, die Teil und Ergebnis des Konflikts sind. Die Gefangen müssen deswegen auch an der Lösung des Konflikts teilnehmen. Deswegen müssen um den Konflikt lösen zu können die Gefangen freikommen und die Exilierten zurückkommen.
Gab es in letzter Zeit Fortschritte für die Gefangenen?
Amaia: Nein, im Allgemeinen gab es weder in Spanien noch in Frankreich Veränderungen in der Justiz- und Haftpolitik. Es gab einige Bewegungen in die richtige Richtung, aber gleichzeitig haben sich auch einige Sachen verschlechtert.
Die Isolation wird immer noch aufrechterhalten, die Verteilung der Gefangenen auf verschiedene Gefängnisse, die lebenslangen Haftstrafen bleiben bestehen. Gleichzeitig gibt es beispielsweise in Spanien eine Zusammenführung der baskischen Gefangenen innerhalb der Gefängnisse. Während sie vorher auf verschiedene Module innerhalb der Gefängnisse verteilt waren, sind sie nun zu viert oder zu fünft in einem Modul. Auf der anderen Seite gab es in der letzten Zeit massive Durchsuchungen in Spanien und einige Gefangene in Frankreich wurden verprügelt. Im Großen und Ganzen kann man also weder von Fortschritten, noch von Rückschritten sprechen.
Wie lange denkt ihr wird es dauern, bis die Gefangen erstens zurück in Baskenland kommen können und zweitens freigelassen werden?
Amaia: Das hängt unserer Meinung nach von den Kapazitäten ab, die es gibt um weiterzuarbeiten und zu organisieren um den Druck auf die Regierungen zu erhöhen. Das betrifft einerseits Herrira und andere Organisationen, die für diese Ziele arbeiten, andererseits aber auch den internationalen Druck den wir aufbauen können. Die Regierung in Spanien zeigt nämlich keinerlei Bereitschaft diese Situation zu beenden. Wie lange es dauert hängt also davon ab, wie gut wir arbeiten können.
Und die französische Regierung?
Amaia: In Frankreich wurde immer versucht das Problem zu externalisieren um nicht zugeben zu müssen, dass es innerhalb Frankreichs so einen politischen Konflikt gibt.
In der sogenannten Antiterrorpolitik richtet sich der französische Staat meistens nach der spanischen Regierung und folgt dieser mit den Maßnahmen. Deswegen denken wir, dass der französische Staat, wenn die spanische Regierung auf uns eingeht dem folgen wird.
Und was werdet Ihr tun, wenn die Regierung nicht bereit ist, die Situation der politischen Gefangenen zu verändern?
Amaia: Auf jeden Fall weiterarbeiten und den Prozess auf politischer und rechtlicher Ebene vorantreiben. Das heißt, das neue Vereinbarungen getroffen werden, dass neue Mehrheiten geschaffen werden, dass weiter mobilisiert und gekämpft wird. Bis jetzt hat das immer wieder neue Situationen und Szenarien geschaffen und das wird auch in Zukunft so sein.
Es ist klar, dass die Regierung die Situation nicht aufrecht erhalten kann, auch wenn sie heute völlig unbeweglich scheint. Alerdings wird die Sitaution anders beibehalten als noch vor ein paar Jahren. Die Regierung hat nie aus eigener Motivation bewegt, sondern musste immer gezwungen werden etwas zu tun. Das heißt, dass wir wie bisher auf allen Ebenen weiterabeiten werden: in den Institutionen, auf der Straße, im Kampf für die politschen Rechte um so neue Ausgangssituationen zu schaffen.
Der spanische Staat foltert ja bekanntermaßen die politischen Gefangenen. Gibt es Bestrebungen seitens des spanischen Staats das zu beenden und wie wollt ihr gegen die Urteile angehen, die auf unter Folter erlangten Aussagen basieren?
Amaia: Man kann feststellen, dass die Anzeigen wegen Folter innerhalb der letzten Jahre zurückgegangen sind. Es gab seit eineinhalb Jahren keine Anzeigen wegen Folter mehr. Es stimmt aber dass die incomunicado-Haft, mit all ihren Konsequenzen weiterhin möglich ist und dass die Straflosigkeit für Folterer immer noch gegeben ist. Die Anzeigen wegen Folter werden meistens einfach zu den Akten gelegt und diejenigen die gefoltert haben, werden nur in seltenen Fällen zur Rechenschaft gezogen und wenn es doch zu Gerichtsverfahren kommt, werden sie dann meistens freigesprochen, unabhängig davon wie viele Beweise es gegen sie gibt.
In der Erklärung von Guernica, bei der sich viele Organisationen, unter anderem wir, auf ein gemeinsames Papier geeinigt haben, ist deswegen auch eine der festgehaltenen Forderungen, dass die incomuncado-Haft und die durch sie ermöglichte Folter abgeschafft werden soll. Darüber gibt es einen breiten Konsens.
Was sind die Unterschiede zwischen eurer Arbeit für die politischen Gefangenen und beispielsweise dem der Izquierda Abertzale?
Amaia: Die Unterschiede sind auf der ideologischen Ebene. Heute sind nicht alle die die Rechte der politschen gefangenen verteidigen von der Izquierda Abertzale. Es gibt Leute, die von der Abrtzale sind, es gibt Leute die nicht von der Abertzale oder einer anderen Partei sind, aber trotzdem für die politschen Gefangenen einstehen. Diese Pluralität verteidigt heute die politschen Gefangenen.
Was diese Bewegung kennzeichnet, ist dass sie kein politisches Projekt verfolgt und dementsprechend keine politischen Positionen im Bezug auf ein politisches Projekt bezieht. Im Bezug auf die politischen Gefangenen und die Forderungen gibt es aber wenig Unterschiede zur Abertzale.
Arbeitet ihr mit anderen Organisationen zusammen, die sich für die Freilassung der politischen Gefangenen der PCE, Grupo-sef, Grapo oder anarchistischen Gefangenen einsetzen?
Eneko: Im Baskenland gibt es keine anarchistischen Gefangenen, es gibt einige in Katalonien und mit denen hatten wir Kontakt. Zum beispiel war Amedeu Caselas vor zwei Jahren im Hungerstreik und die Soligruppen haben uns geschrieben und uns ihre Erklärungen geschickt, die wir unterstützt haben. Auf diesem Weg haben wir sie unterstützt. Genauso wie die Gefangenen von der Grapo, mit deren Soligruppen wir Kontakt hatten, als sie in schwierigen Situationen waren.
Wir halten Kontakt mit diesen Gruppen, aber wir arbeiten nicht tagtäglich zusammen.
Dann gibt es noch Organisationen wie Salaketa, die zu den sozialen Gefangenen arbeiten, mit denen wir auch Kontakt haben und mit deren Forderungen wir einverstanden sind, aber das politische Gefüge im Baskenland ist anders, wegen des politischen Konflikts.
Mit all diesen Organisationen haben wir Kontakt, aber wir arbeiten nicht intensiv mit ihnen zusammen.
Was sind eure Erwartungen an eure Reise nach Deutschland?
Eneko: In diesem Moment sind verschiedene Aktivisten unserer Bewegung in verschiedenen Ländern Europas, in der Schweiz, in Großbritannien, in Irland, in Katalonien, in Italien und in Norwegen und geben Interviews, machen Infoveranstaltungen usw.
Unser Ziel ist es auf die Situation der baskischen politischen Gefangenen aufmerksam zu machen, uns mit anderen Organisationen zu treffen und um Unterstützung zu werben. Außerdem hilft es uns auch uns mit anderen Organisationen zu treffen um zu sehen wie diese arbeiten. Wir haben im Moment keine konkreten Anfragen an die Organisationen mit denen wir uns treffen.
Unser Ziel ist es zumindest ein wenig internationalen Druck auf die spanische und französische Regierung aufzubauen, damit die die Situation der baskischen Gefangenen gelöst wird. Was wir hier gemacht haben war einen ersten Kontakt aufzubauen und wir hoffen, dass wir diesen in Zukunft beibehalten und intensivieren können.
Rote Hilfe e.V. Ortsgruppe Berlin 2012