24.04.2010 | Abertzale Linke, Euskal Herria, Oktober 2009


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3. BESCHREIBUNG DER AKTUELLEN LAGE

Die aktuelle politische Phase ist die Phase der politischen Veränderung. Sind die Bedingungen für die Veränderungen vorhanden, wird sie zur Phase der Realisierung dieses Wandels. Das Ziel ist die Verwirklichung politischer Veränderungen: demokratische Rahmenbedingungen schaffen, durch die die derzeitigen konstitutionellen Bedingungen des (Autonomie)statuts überwunden werden und deren Grundlage die Anerkennung Euskal Herrias und der Respekt vor dem Willen der baskischen Bevölkerung ist.

Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es eines demokratischen Prozesses, der auf dem Zusammenschluss der dafür in Frage kommenden Kräfte, der Aktivierung dieser Kräfte, einer Änderung im Kräfteverhältnis, Verhandlungen und einem politischen Abkommen beruht. Einen Prozess mit diesen Merkmalen in Gang zu setzen ist der einzige Weg, eine Änderung der Rahmenbedingungen zu erreichen.

In diesem Sinne bleiben die Optionen, die im Vorschlag von Anoeta entwickelt wurden, gültig. Wir müssen uns jedoch klar werden, dass sie verloren sind, wenn wir sie nicht nutzen. Die Bedingungen für profunde Veränderungen sind gegeben:

  • Der Zustand, der vom spanischen Staat in der Phase der Nach-Franco-Zeit definiert wurde, hat sich erschöpft.
  • Das Modell der politischen Führung, nach dem die PNV (und insofern auch die UPN) die Institutionen leitet, hat sich erschöpft.
  • Die Intensität, mit der sich in der baskischen Gesellschaft das Rechts auf Selbstbestimmung und die Forderung nach tief greifender politischer Veränderung als Grundhaltung verankert hat, macht es schwer, auf diese neue Möglichkeit nur mit Rezepten des Status-Quo zu antworten, wenn man nicht den Konflikt selbst beibehalten will.
  • Die Tatsache, dass die Mehrheit einen Verhandlungsprozess befürwortet, der die zentralen Ursachen des Konflikts behandelt.
  • Eine solide Basis für die Unabhängigkeit. Im südlichen Baskenland sind dies nie weniger als 25-30%.
  • Ungeachtet der Differenzen hat sich die Mehrheit der Gewerkschaften die Thesen der abertzalen Linken zu eigen gemacht.
  • Die große Erwartungshaltung, mit der die Gesellschaft auf die Vorschläge der abertzalen Linken reagiert, als Alternative zum Führungsmodell der PNV/UPN.
  • Den Aufschwung, den die abertzale Bewegung in Lapurdi, Nafarroa Behera und Zuberoa erfährt, wie die Resultate von EH Bai (Ja zum Baskenland) und die Zahl der Abgeordneten in den Gemeinden zeigen. Damit wurde auch ein Weg sichtbar, die Krise zu überwinden, die die Spaltung im Jahre 2001 hervorgerufen hat. Wir sind uns bewusst, dass der Prozess seinen Ursprung im südlichen Baskenland hat, aber wie wir auch im vorhergehenden Prozess beobachten konnten, hat er einen positiven Einfluss auf das nördliche Baskenland.

Dies sind präzise und objektive Grundlagen, nach denen die abertzale Linke beherzt und auf bestem Weg ihrem Ziel entgegengehen kann. Die Möglichkeiten müssen nur ergriffen werden.

Die juristischen Rahmenbedingungen, die uns seit dreißig Jahren auferlegt sind, sind erschöpft und es wird langsam klar, dass der aktuelle Kampf folgendes Ziel hat: den Charakter und die Führung des sich abzeichnenden, neuen Zyklus zu bestimmen, d.h. letztendlich, den Weg der politischen Veränderungen zu bestimmen. Die Prioritäten der abertzalen Linken müssen daher sein, sich im Volk zu verankern und das Kräfteverhältnis zu ändern. Denn das ist es, was die Richtung und den Inhalt der Veränderungen bestimmt. Die abertzale Linke muss die Bedingungen für diese Veränderungen durch einen Zusammenschluss der abertzalen Kräfte formen. Sie muss sich dadurch in die Lage versetzen, Richtung und Inhalt dieser Veränderungen zu garantieren. Dieser neue Zusammenschluss basiert sowohl auf taktischen Vereinbarungen (Anerkennung von Euskal Herria, Akzeptanz des Willens der Bevölkerung) als auch auf strategischen (die Unabhängigkeit und der Sozialismus).

An der Toren dieses neuen Zyklus, zu einem Zeitpunkt, an dem die einen wie die anderen den Zerfall ihrer Strategien erleben, muss die abertzale Linke sowohl den Raum der Unabhängigkeitsbefürworter einnehmen, als auch sich im politischen Zentrum platzieren. Zu einem Zeitpunkt, in dem der Statutismus seinen Rückhalt verliert und die jakobinische Politik erschöpft ist, brauchen wir einen Vorschlag mit einer neuen strategischen Ausrichtung, um die bis heute herrschende Hegemonie des Regionalismus zu brechen und zu ersetzen. Die abertzale Linke muss Euskal Herria dieselben Möglichkeiten eröffnen, die andere Nationen in Europa gewählt haben, hin zur Unabhängigkeit.

Dafür müssen wir eine wirkungsvolle Strategie entwickeln.


4. UNABHÄNGIGKEITSSTRATEGIE


4.1 Strategisches Ziel

Unabhängigkeit und Sozialismus sind Ziele der abertzalen Linken. Ein baskischer sozialistischer Staat ist das konkrete Projekt, das zur nationalen und sozialen Befreiung führen wird. Warum brauchen wir einen baskischen Staat? Weil dies nach Jahrzehnten der Negierung, der Assimilationsversuche und des Zwangs durch zwei Unterdrückerstaaten der beste Weg ist, unser Überleben zu sichern und uns eine umfassende Entwicklung zu garantieren.

Wir würden die vollständige Entwicklung von Euskal Herria wohl kaum in diesen zwei Staaten erreichen, deren Aufbau mit der Unterdrückung der Rechte der kleinen Nationen einherging. Denn geteilt zu sein und das Zentrum politischer Entscheidungen außerhalb des Landes zu haben, sind zu große Hürden. Die linke Unabhängigkeitsbewegung will einen unabhängigen baskischen Staat aufbauen, um die Identität unserer Bevölkerung, die Kultur und die Sprache (ein baskisches Euskal Herria) zu stärken, ohne daran auf irgendeine Art und Weise behindert zu werden, aber auch um die Rechte, das Wohlergehen und die Freiheit aller im Baskenland lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

Wir wollen auch einen echten Internationalismus mit den anderen Völkern auf diesem Planeten entwickeln, die Möglichkeiten hierfür bietet ein eigener Staat. Denn die Befähigung, Entscheidungen zu treffen und uns die hierfür nötigen Mittel und Strukturen durch einen eigenen Staat zur Verfügung zu stellen, ist essentiell, um die genannten Ziele zu erreichen. Wir werden dabei nie vergessen, dass das Volk die Grundlage ist, auf die der Staat sich gründet. Ein Blick auf die Welt genügt um festzustellen, dass unterdrückte Völker, die keinen eigenen Staat besitzen, unter der dauernden Bedrohung leben, assimiliert zu werden oder zu verschwinden.

Warum brauchen wir einen sozialistischen Staat? Weil es der beste Weg ist, gegen die Ungleichheiten anzugehen, die auf Kosten und durch Ausbeutung der Arbeiterklasse geschaffen wurden. Weil wir sicherstellen wollen, dass die Bedürfnisse der ganzen Bevölkerung befriedigt werden und alle dieselben Möglichkeiten haben. Obwohl wir für den Aufbau des Sozialismus im Baskenland die weltweiten Erfahrungen und revolutionären Aktivitäten einbeziehen, werden wir versuchen, unser eigenes Modell aufzubauen. Dieses Modell werden wir auf die Fundamente gründen, die wir auf dem Weg unseres Befreiungskampfes errichtet haben.

Die strategischen Ziele Unabhängigkeit und Sozialismus sind ein integriertes Projekt.

Eine spezielle Erwähnung verdient die völlige Gleichstellung von Frauen und Männern, sowie die Überwindung des patriarchalischen Systems.
Ohne andere Themen zu vernachlässigen oder zu unterschätzen, sind der Schutz und die Verteidigung unserer Umwelt (Mutter Erde) eine der Hauptaufgaben eines baskischen sozialistischen Staates.

Der baskische sozialistische Staat wird in seiner Verfassung die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, die Institutionen (auf nationaler und anderer Ebene) sowie die spezifischen Charakteristika des politischen Systems verankern. Das wird die Tür zu einer partizipatorischen Demokratie öffnen. Das politische System wird auf Wahlen basieren. Abhängig von der Zustimmung, die sie in diesen Wahlen erhalten, werden politische Parteien die Institutionen des Staates führen. Es wird spezifische Mechanismen geben, die eine möglichst direkte Teilhabe der Bevölkerung und der Bevölkerungsgruppen gewährleisten sollen. Bevölkerung und Abgeordnete sollen die Möglichkeit erhalten, an Diskussionen und Entscheidungen zu konkreten Projekten mitzuwirken. Demokratische Freiheiten werden respektiert werden.

Das sind strategische Ziele, aber wir müssen sie bereits heute als Richtschnur nutzen, weil sie die Integrität unseres Weges sicherstellen. Ohne endgültige Ziele fehlt den mittelfristigen Zielen ein wichtiges Element, genauso, wie ohne mittelfristig realisierbare Ziele die finalen Ziele zur Illusion werden.

Unsere Ziele sind aber keine Illusion. Wie wir bereits erklärt haben, existiert diese Möglichkeit weltweit. In Europa entstanden neue Staaten und in Belgien, Schottland und Grönland ist diese Diskussion in vollem Gange. Wenn wir zusätzlich den Fall von Quebec betrachten, kommen wir zum Schluss, dass es auch in der ersten Welt möglich ist, neue Staaten zu gründen, wenn starke demokratische Mehrheiten dafür gewonnen werden. Denn das Recht auf Selbstbestimmung ist (wird) ein akzeptiertes Recht, sowohl in Staaten, die es anerkennen, als auch in den Staaten, die es verneinen. Bemerkenswert sind die Fälle von Schottland und Quebec, in denen diese Entwicklung stattfindet, obwohl ihr Gesetz dieses Recht nicht kennt. Es wird durch Anwendung zur Praxis.
Auch der Fall des Kosovo ist bemerkenswert, weil verschiedene Staaten die Unabhängigkeit dieses Territoriums anerkennen, obwohl eine Resolution der Europäischen Union das Gegenteil sagt (es ist jedoch nicht das Ziel dieses Dokuments, die Geschehnisse im Kosovo zu beurteilen, weil die Methoden, die im Interesse regionaler Mächte benutzt wurden, starke Zweifel schüren). Wir können folgendes festhalten: die Gründung eines baskischen Staates, die auf dem Willen seiner Bevölkerung beruht, könnte international signifikante Unterstützung erhalten. Wir müssen für diese Unterstützung von heute an arbeiten, denn wir haben während der letzten Verhandlungen in der Schweiz gesehen, dass diese Möglichkeit von vielen Beteiligten als völlig normal gesehen wird.

Trotzdem ist der innere Faktor noch wichtiger als der internationale. Die Bevölkerung von Euskal Herria ist organisiert, dynamisch, belesen, hat hohe Einkommen und ökonomisch viele Möglichkeiten (aber wir wollen diejenigen Teile der Bevölkerung, die Armut und Ausgrenzung erfahren, nicht von oben herab betrachten. Wir wollen deshalb unser strategisches Projekt aus einer linken Perspektive angehen). Wir sind ein Volk, das bereit für die Unabhängigkeit ist. Wir verfügen über genügend Erfahrung und starke politische, soziale und ökonomische Grundlagen.

Als Konsequenz muss die politische Linie zur Umsetzung unserer Strategie strategische Ziele auf verschiedenen Ebenen beinhalten:

  • auf der ideologischen Ebene: die Überzeugung stärken, dass ein baskischer Staat die beste Lösung für die Bürgerinnen und Bürger des Baskenlands und für Euskal Herria ist.
  • auf der praktischen Ebene: aus den täglichen Schritten – populären Aktivitäten – muss unser finales Ziel erkennbar sein.
  • auf der politischen Ebene: das Abkommen, das wir in diesem Stadium erzielen, muss die Türen zur Unabhängigkeit öffnen.


4.2 Taktisches Ziel

Der Weg zu einem baskischen Staat beinhaltet notwendigerweise verschiedene Stufen, bzw. Zwischenschritte. In diesem Sinn ist unser taktisches Ziel, einen kohärenten, demokratischen Konsensus zu erreichen, der eine Antwort auf die Probleme der Selbstbestimmung und des Territoriums liefert. Ein Rahmen, der die Anerkennung Euskal Herrias und die Akzeptanz des Willens seiner Bevölkerung beinhaltet, würde Spielraum für alle politischen Projekte bieten, die Gründung eines baskischen Staates eingeschlossen.

Die abertzale Linke hat bereits in Ustaritze und in der Sportarena von Anaitasuna ihren Vorschlag für einen demokratischen Rahmen vorgestellt. Grob gesprochen hat dieser Vorschlag zwei Grundlagen: die Institutionalisierung des nördlichen Baskenlandes und die territoriale Einheit des südlichen Baskenlandes. Für beide Fälle erkennen wir das Recht der Bevölkerung auf eigene Entscheidung an. Voraussetzung hierfür ist, dass der rechtliche und politische Rahmen die Möglichkeit der Unabhängigkeit und der Einheit Euskal Herrias erlaubt. Wir schlagen eine Autonomie vor, die die Anerkennung als Nation beinhaltet und entwickeln einen Plan für Euskal Herria als Ganzes, angepasst an die jeweilige Situation. Unser Vorschlag mag nicht der einzige sein, der zu einem demokratischen Rahmen führt, andere könnten ebenfalls möglich sein.

Im letzten Verhandlungsprozess war die Frage der Einheit der vier Territorien eine der harten Nüsse. Wir müssen darüber nachdenken. Unsere Botschaft, die wir zu Nafarroa Garaia32 und zur territorialen Einheit übermitteln, ist in gewisser Weise defensiv. Letzten Endes wissen wir, dass für eine zukünftige territoriale Einheit der Willen der Bevölkerung Navarras essentiell ist. Unser Ziel sollte deshalb sein, die soziale Meinungsführerschaft in Navarra wieder herzustellen. Wenn wir deshalb über das Selbstbestimmungsrecht reden, müssen wir das Recht wiedererlangen, unsere interne Organisation selbst zu entscheiden. Das heißt, die Basken, in diesem Fall die Bürgerinnen und Bürger der zwei politischen Haupteinflussbereiche, müssen diejenigen sein, die die Art der Beziehung festlegen, die sie miteinander eingehen wollen. Allein nach ihrem Willen.


4.3 Bildung der Nation

Durch den Reflexionsprozess in den Jahren 1993-1994 wurde die Bildung der Nation eine der Kernkomponenten der linken, nationalen Strategie. Auf der einen Seite gab es gesellschaftliche Gruppen, die eine Änderung der Rahmenbedingungen unterstützen würden, sich jedoch nicht an der Verhandlungsstrategie ETA-Staat beteiligten. Auf der anderen Seite benötigten wir eine Antwort auf die strategischen Beruhigungspillen des Staates (Euskara, Wirtschaft, Erziehung, …). Durch die Zusammenarbeit haben wir anderen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen die Grenzen der existierenden Randbedingungen in verschiedenen Bereichen aufgezeigt und sie so von der Forderung nach einem neuen Rahmen überzeugt. Bekräftigungen, wie die von ELA, dass das Autonomiestatut tot sei, zeigen, dass unsere Strategie Früchte trägt. Ein nächster Schritt wäre gewesen, einen solchen Rahmen zu entwickeln. Denn natürlich müssen wir die Bildung der Nation als Methode sehen, die politischen Randbedingungen zu verändern, obwohl manche – fälschlicherweise – vorgezogen hätten, sie als Methode für den Aufbau einer alternativen Realität zu betrachten.

Heute, wo wir immer noch dabei sind, die politischen Bedingungen zu ändern, ist die Bildung der Nation eine Grundlage von hohem politischem Wert. Die Gründe hierfür sind:

  • Über die reine Ablehnung hinaus reflektiert sie die Realität der Grenzen und des Zwangs der existierenden Institutionen – in allen Bereichen.
  • Deshalb reflektiert die Bildung der Nation auch die Notwendigkeit politischer Veränderungen.
  • Des Weiteren garantiert sie die volle Relevanz der aktuellen Arbeit und des Kampfes für Euskal Herria, ohne auf unseren D-Day zu warten. Sie ist eine Methode, breite Unterstützung in der Bevölkerung zu erhalten, die in dieser Phase so wichtig ist.
  • Gleichzeitig ist sie effizient, weil konkrete Schritte unternommen und spezifische Projekte umgesetzt werden können.

Die Bildung der Nation zwingt uns, Prioritäten zu setzen. Aus diesem Grund hat sich die abertzale Linke vor langer Zeit entschieden, in Bereiche zu investieren, die die Grundlagen unseres Volkes stärken: Sprache, territoriale und sozioökonomische Organisation, Nationalität und die institutionelle Einheit des Territoriums.

Im Bereich der Sprache müssen wir darum kämpfen, den offiziellen Status von Euskara33 in ganz Euskal Herria durchzusetzen und sicherzustellen, dass die linguistischen Rechte respektiert werden.

In der Erziehung müssen wir weitere Schritte hin zu einem öffentlich nationalen System machen. Die Dynamik zur Bildung einer unabhängigen baskischen Universität zu stärken, könnte eine Priorität werden.

Im sozioökonomischen Bereich sollten wir zusätzlich zum Kampf gegen Unrecht (wir kommen zu diesem Punkt im nächsten Abschnitt) eine Debatte über das Modell der ökonomischen und sozialen Struktur Euskal Herrias beginnen. Wir benötigen hier ebenfalls spezifische Projekte. In diesem Sinne ist es essentiell, dass die gemeinsame Arbeit der abertzalen Gewerkschaften eine gemeinsame strategische Vision aufweist und einen gemeinsamen Umfang in der Planung, den organisatorischen Vorschlägen und der gemeinsamen Arbeit hat.

Im Hinblick auf die territoriale Organisation gibt es verschiedene Entwicklungsthemen in zwei Hauptbereichen: auf der einen Seite, die heutigen Exzesse anzuprangern; auf der anderen Seite, konkrete Alternativen zu entwickeln: Infrastruktur, Abfall, natürliche Ressourcen, …

Hier gibt es unzählige lokale als auch überregionale Themen. Spezielle Erwähnung verdient der Hochgeschwindigkeitszug (TGV), weil dieses Makroprojekt ein echtes Bild des ökonomischen und sozialen Modells darstellt, das Euskal Herria aufgezwungen wurde.

Es gibt viele Gründe, sich gegen das TGV-Projekt zu wehren:

  • der Schaden für die Umwelt
  • die ökonomischen Interessen, die dieses Projekt verteidigt
  • Wir wurden nicht gefragt
  • Sie verwerfen den Willen der Bevölkerung
  • In strategischen Bereichen – wie zum Beispiel Transport – gibt es künftig kaum öffentliche Ressourcen

Die Haltung der abertzalen Linken ist infolgedessen klar: die Bauarbeiten einstellen und eine Diskussion ermöglichen, die die Bedürfnisse der Bevölkerung in Euskal Herria als Ganzes adressiert. Die abertzale Linke erkennt an, dass die Anti-TGV-Bewegung die Protagonistin sein sollte, wenn es darum geht, dieses aufgezwungene Projekt anzuprangern und eine Debatte zu fordern. Der Kampf gegen den TGV muss durch diese Bewegung erfolgen und von ihrer Stärke getragen sein.

Des Weiteren dürfen wir im Hinblick auf das Modell der territorialen Organisation nicht in ein einfaches Anti-System-Denken verfallen. Die abertzale Linke hat als Ziel einen baskischen Staat und auf dem Weg dahin ist es nötig, bei der Vereinigung von Kräften deren klassenübergreifende Zusammensetzung zu beachten. Anders gesagt, die abertzale Linke will Unabhängigkeit, um die Gesellschaft zu ändern. Aber dafür oder präziser gesagt deswegen, kann sie nicht ihre gesamte politische Linie in einem Kampf durchsetzen, der um ein einzelnes Thema geht, wenn dieser Kampf Widersprüche erzeugt, die am Ende sogar die angestrebte Einheit gefährden können.

In den vergangenen Jahren haben wir außerdem zur Frage der Nationalität gearbeitet, sowohl auf allgemeiner Ebene (das Projekt eines eigenen nationalen Ausweises, mit all seinen Höhen und Tiefen) wie in speziellen Bereichen (Wahlen und Sport als Beispiel). Das sind Arbeitsbereiche mit großem Potential, die das Ziel eines baskischen Staates strategisch stärken.

Territoriale Koordination muss zu einer weiteren politischen Priorität des demokratischen Prozesses werden. Denn zusätzlich zu ihrer Rolle, als wichtiger Faktor den Prozess in die richtige Richtung und zu den richtigen Ergebnissen zu leiten, kommt ihr auch strategische Bedeutung zu (Stärkung des Bewusstseins und der nationalen Identität). Deshalb müssen wir reorganisieren und neue Institutionen schaffen, die Euskal Herria als Ganzes repräsentieren, sowohl im kulturellen Bereich, als auch im Sport und in der Struktur der Institutionen, …

Wir haben in den letzten Jahrzehnten Hunderte von Projekten und Aktivitäten entwickelt und durchgeführt. Neben den bereits erwähnten gab es Erfolge in weiteren Bereichen – wie zum Beispiel Medien oder Kultur – die dazu beigetragen haben, der Identität der Menschen einen Ankerpunkt zu geben. Das ist von großem strategischem Wert. Trotzdem ist es richtig, dass unter dem Überbegriff der Bildung der Nation die Ergebnisse einiger dieser Projekte nicht immer richtig analysiert wurden. Wie in anderen Bereichen auch, sollte der Grad des Erfolgs und die Resultate dieser Projekte ordentlich analysiert werden. Sonst laufen wir Gefahr, selbstgerecht zu werden.

Die abertzale Linke sollte die Bildung der Nation fördern. Bildung der Nation und Basisdemokratie (ihr höchster Ausdruck) können nicht ausschließlich auf der abertzalen Linken beruhen. Die Dynamiken und Organisationen, die daraus entstehen, können nicht alle in der abertzalen Linken verwurzelt sein. Und natürlich haben Organisationen wie das Forum Nationale Debatte zu solchen Überlegungen und Arbeiten viel beizutragen.

Wir müssen Meilensteine der politischen Macht erreichen und einen demokratischen Prozess formulieren, um wirksame Schritte im Prozess der Bildung der Nation zu erreichen. Wir müssen dabei in der Lage sein, Hindernisse, die in den Weg gestellt werden, zu überwinden und uns mächtige Werkzeuge zu Nutze zu machen. Unsere Strategie basiert darauf, politische Macht zu gewinnen. Dafür wollen wir Unabhängigkeit und einen Staat. In den vergangenen Jahren haben alternative Haltungen die Gefahr erzeugt, diese politische Vision und unsere Strategie zu verzerren.


4.4 Der linke Kampf

Die abertzale Linke vertritt seit langem, dass Nation und Befreiung zwei Seiten einer Medaille sind. Die fünfte Versammlung von ETA war vielleicht der wichtigste ideologische Beitrag zum Befreiungsprozess. Trotzdem stimmt es, dass manchmal – sei es wegen der zentralen Rolle des bewaffneten Kampfes, sei es wegen der Beziehung zur und der Abhängigkeit von der PNV – linke Themen auf den zweiten Platz verwiesen werden. Deshalb spielt die Erziehung unserer Aktivistinnen und Aktivisten in der Tradition der Linken eine große Rolle, speziell für die jüngeren Generationen.

In der derzeitigen Phase sollten die politischen Vorschläge der Linken, ihre Praxis und ihr Kampf eine große Bedeutung haben. Erstens, weil die Situation dies erfordert. Die ökonomische Krise beeinträchtigt besonders Arbeiter und breite Teile der Bevölkerung, während das Finanzsystem mit öffentlichen Geldern „gewässert“ wird. Die ökonomischen Wohltaten der Wachstumsphase haben sich die üblichen Verdächtigen angeeignet, während aus einstmals prekären Arbeitsbedingungen die heutige Arbeitslosigkeit wurde.

Die ArbeiterInnenbewegung hat viel zu sagen in Bezug auf die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter und die Lage der Klasse. Teile der Bevölkerung (kleine Händler, kleine autonome Strukturen von Arbeiterinnen und Arbeitern) werden durch die Krise in Mitleidenschaft gezogen. Deshalb benötigen wir eine Allianz zwischen der Arbeiterklasse und diesen Teilen der Bevölkerung gegen den Feind: die Ausbeuter und die Spekulanten.

Am Arbeitsplatz sind unter anderem die Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Arbeitsunfälle unsere größten Feinde. Des Weiteren dürfen wir die besonders schwierige Situation nicht vergessen, in der sich einige befinden. Junge Leute und Frauen sehen sich am Arbeitsmarkt mit viel schlechteren Bedingungen konfrontiert, vorgesetzt, sie sind überhaupt in der Lage, einen Arbeitsplatz zu finden. Genauso muss der linke Kampf für die Unabhängigkeit die schlimme Situation der Älteren berücksichtigen, die ihr Leben der Arbeit gewidmet hatten, und damit viel Reichtum geschaffen haben (Rentner, Hausfrauen und andere, die nichts besitzen). Wir müssen gegen ihre soziale Ausgrenzung kämpfen und für sie ein ordentliches Leben ermöglichen.

Neben Einkommen und Arbeitsplatz ist Wohnen ein kritisches Thema. Denn vielen Menschen verursacht dies mittlerweile schlaflose Nächte. Manchen, weil sie keine Chance haben, ein vernünftiges Heim zu besitzen, und viele andere, weil sie es kaum noch bezahlen können.

Die Probleme, die sich aus der Ausbeutung des Landes und des Eigentums ergeben, haben in Euskal Herria viele Gesichter. Im nördlichen Baskenland hat das Thema beispielsweise eine hohe politische Dimension, weil die „Zweitwohnungen“ zum Symbol für die Unterdrückung unseres Volkes wurden. Und die Wahrheit ist, dass die Menschen Protestaktionen dagegen begrüßen. Das Problem ist nicht neu; die Organisation Iparretarrak hat als Hauptangriffsziel den Immobiliensektor.

Über den Kampf um vernünftige Lebensverhältnisse hinaus muss die abertzale Linke Bürgerrechte und Integration verteidigen. Rassismus, Ausbeutung, sexuelle Gewalt gegen Frauen, Homophobie … sind Feinde der linken Pro-Unabhängigkeitsbewegung, sowohl in unserer politischen Agenda als auch in der täglichen Haltung.

Der linke Kampf muss unsere Strategie der Allianzen und die Beziehungen zu anderen Kräften bestimmen (dieses Thema findet weiter unten besondere Berücksichtigung). Zum Beispiel weiß jeder, der eine Analyse der Klasseninteressen vornimmt, wessen Interessen die PNV vertritt. Ohne jeden Zweifel repräsentieren sie diejenigen, die sich selbst am Mehrwert bereichern, der von der Arbeiterklasse und in großen Unternehmungen geschaffen wurde, obwohl die soziale Basis der PNV zum Großteil aus der Bevölkerung kommt. Trotzdem ändert die Tatsache, dass viele ihrer Mitglieder und Wähler Arbeiterinnen und Arbeiter sind, nicht das Management ihrer Organisationen und den Kern ihrer Partei. Deshalb kann eine Alternative zur PNV nicht ausschließlich auf der Arbeit für Unabhängigkeit basieren, sondern muss von links kommen.

Auf dem Weg der sozialen Transformation müssen wir klare Bezugspunkte setzen, die unsere eigenen inneren Werte in den konkreten politischen und ökonomischen Bereichen (Baskische Arbeitswelt, Sozioökonomischer baskischer Raum) reflektieren. Das ist ein wichtiger Zwischenschritt in Richtung Sozialismus. Die abertzale Gewerkschaftsbewegung – unter Führung von LAB – hat als Bezugspunkt vor langem die Kopplung sozialer und politischer Veränderungen festgelegt.

Der letzte Generalstreik hat neben der Antwort auf die Krise auch den bereits oben erwähnten Typ von Forderungen auf den Tisch gebracht, um die politische Unterwerfung unter Madrid, unter CCOO und UGT und unter die autonomen Institutionen (CAV und CFN) zu überwinden und wirksame Maßnahmen gegen die Konsequenzen der Krise zu entwickeln.
Abschließend muss unser Kampf auch klare internationale Bezugspunkte haben. In diesem Sinn identifizieren wir uns mit den Befreiungsprozessen, die in Europa und in Südamerika stattfinden, sowie mit dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wir sind vollständig bereit, uns an letzterem zu beteiligen. Das sind die ideologischen und politischen Bezugspunkte der abertzalen Linken.


4.5 Nationale Strategie

Um das nationale Projekt für Euskal Herria umzusetzen, müssen wir eine nationale Strategie entwickeln. Denn ohne nationale Strategie wird uns die Teilung aufreiben. Deshalb muss die politische Arbeit der abertzalen Linken als Bezugspunkt und als Adressat Euskal Herria als Ganzes haben.
Die erste Komponente ist dabei die Struktur der abertzalen Linken. Wir müssen den nationalen Charakter der sozialen und politischen Organisationen stärken: wir benötigen Institutionen für Euskal Herria als Ganzes. Die politischen, sozialen und ökonomischen Themen sollten ebenfalls aus einer nationalen Perspektive analysiert werden. Denn eine begrenzte Analyse birgt zweifelsohne die Gefahr einer begrenzten politischen Linie. Der letzte Schritt der nationalen Strategie wird die Bestimmung der nationalen politischen Linie werden. Vorschläge und Aktionen werden aus nationaler Perspektive umgesetzt. Um dies sicherzustellen, wird die abertzale Linke neben der Änderung der Strukturen auch auf andere Ressourcen zurückgreifen (Information, Training, Methodologie …).

All das heißt jedoch nicht, dass wir nicht der Realität jedes Gebiets Rechnung tragen. Das Gegenteil ist der Fall. In jedem Gebiet und in jeder Umgebung muss die nationale Strategie die lokalen Besonderheiten berücksichtigen. Denn die strategisch koordinierten Hauptaktivitäten haben in jedem Gebiet ihren eigenen Rhythmus und ihren eigenen Verlauf.

Außerdem gibt es wichtige Themen, die nur in Teilen des Landes eine Rolle spielen. In solchen Fällen sollte die nationale Strategie ein Instrument der Solidarität der Basken sein. Auch der umgekehrte Fall kann wahr sein: eine gute Aktion in einem Teil des Landes kann positiven Einfluss auf die nationale Strategie haben.

Da die nationale Strategie der Höhepunkt unserer Arbeit ist, sollte sie nicht durch kurzfristige Themen beeinflusst werden. Sowohl in den Zeiten von Lizarra-Garazi, als auch zu Beginn des letzten Verhandlungsprozesses mit der spanischen Regierung – um zwei Beispiele zu nennen – sollte unser Vorgehen auf unserer nationalen Strategie beruhen, auch wenn es zwei verschiedene Situationen waren. Die Ergebnisse, die durchaus „spektakulär“ waren, wären vielleicht anders gewesen.

Zusammenfassend müssen wir uns in dieser politischen Lage an unsere nationale Strategie halten, vor allem im Wissen, dass dies einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung eines demokratischen Prozesses leisten kann. Im Laufe des Prozesses werden wir zu Konkretisierungen kommen (die Limitationen, die speziellen Eigenschaften eines Gebietes …) und genau deshalb ist es notwendig, eine Strategie zu besitzen, die Euskal Herria als Ganzes im Auge hat, damit uns die Reise, die vor uns liegt, nicht ans falsche Ziel bringt.


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Fussnoten

32 Nafarroa Garaia (baskisch, Hoch-Navarra) wird als Bezeichnung für Nafarroa im südlichen Baskenland verwendet. Nafarroa Beherea (Nieder-Navarra) ist Teil des nördlichen Baskenlands.

33 Baskische Sprache, älteste Sprache Europas, unter der Franco-Diktatur verboten.

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