15.06.2014 | Uschi Grandel

Massenprozess gegen vierzig baskische Jugendliche endet mit Freispruch

Nahezu fünf lange Jahre hing über vierzig baskischen Jugendlichen das Damoklesschwert, vom spanischen Sondergericht Audiencia Nacional in einem Massenprozess zu jahrelangen Freiheitsstrafen verurteilt zu werden. Im November 2009 war ein Teil der Jugendlichen in einer Großrazzia der spanischen Militärpolizei Guardia Civil aus ihren Wohnungen geholt worden. Von Oktober 2013 bis März 2014 standen sie in Madrid gemeinsam vor Gericht. Unbestritten war von Anfang an der rein politische Charakter ihrer Aktivitäten. „Versammlungen, Demonstrationen, Jugendcamps“, zählen die Richter in ihrem Urteil auf. Weil die Jugendlichen zur linken baskischen Unabhängigkeitsbewegung gehören, hatte die Anklage daraus eine Mitgliedschaft in der Jugendorganisation Segi gemacht, die in Spanien als Unterorganisation von ETA gilt und damit als terroristische Organisation verboten ist. Weit über hundert baskische politische Aktivisten wurden in den letzten Jahren mit ähnlicher Argumentation zu langen Freiheitsstrafen verurteilt. Ein prominentes Beispiel ist Arnaldo Otegi, der für seine politische Friedensinitiative, die im Oktober 2011 zum Ende des bewaffneten Kampfes von ETA führte, zu mehr als sechs Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Seine politische Initiative sei auf Anweisung von ETA erfolgt. Otegi sitzt seit Oktober 2009 im Gefängnis.

Diesmal jedoch sprachen zwei der drei Richter die Angeklagten von allen Vorwürfen frei. Die Anklage verzichtet auf eine Revision. Die Anwälte der Jugendlichen bewerten in ihrer Pressekonferenz im baskischen Donostia (San Sebastián) am vergangenen Samstag das Urteil ausschließlich positiv. Nicht nur wegen der guten Nachricht für die Jugendlichen und ihre Familien, sondern vor allem weil das Urteil vom Mittwoch „klar bestätigt, dass eine rein politische Aktivität nicht als ‚terroristisch‘ betrachtet werden kann,“ erklären Kepa Manzisidor und Jaione Karrera im Namen der Anwälte. Im Gegensatz zu früheren Urteilen des Sondergerichts, seien die Richter außerdem „ernsthaft“ mit den Aussagen der großen Mehrheit der Jugendlichen umgegangen, die Folter im Polizeigewahrsam angezeigt hatten. Als Ergebnis werteten die Richter die Selbstbezichtigungen nicht als Indiz, weil viel dafür spreche, dass die Unterschrift der Jugendlichen unter diese Erklärungen nach mehrtägiger Isolationshaft – der sogenannten „Incommunicado-Haft“ – in den Händen der Guardia Civil nicht freiwillig zustande gekommen sei. Wichtig für diese Entscheidung war die Tatsache, dass kein einziger der acht außerhalb Spaniens verhafteten Jugendlichen sich auf ähnliche Weise selbst beschuldigt hatte.

Man dürfe jedoch nicht vergessen, erklärten die Jugendlichen nach ihrem Freispruch in Iruñea (Pamplona), dass noch viele baskische politische Aktivisten von ähnlichen politischen Prozessen bedroht seien. Das Urteil in einem zweiten Massenprozess gegen ehemalige Batasuna-Aktivisten steht aus. Und am Tag des Freispruchs gingen in Galdakao hunderte Menschen in Solidarität mit ihrem politisch aktiven und bekannten Mitbürger Tomás Madina Etxebarria auf die Straße, der vor ein paar Tagen im Morgengrauen von einem Dutzend bewaffneter und maskierter Paramilitärs der Guardia Civil als angebliches ETA-Mitglied in seiner Wohnung aus dem Bett geholt wurde. Auch er befand sich zwei Tage lang in der berüchtigten Incommunicado-Isolations-Haft. Wie die Jugendlichen ist auch Etxebarria als politischer Aktivist bekannt, der den aktuellen Friedens- und Konfliktlösungsprozess unterstützt.


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